Kaum einem Begriff wurde sprachlich mehr Unrecht angetan als dem des Volkssports. Es ist daher an der Zeit, den guten Ruf dieses Wortes wieder herzustellen.
Wandern ist Volkssport
Die Eingabe dieses Wortes als Suchbegriff bei einem bekannten Videoportal führt zu Clip-Vorschlägen wie „Volkssport Schwarzfahren“, „Volkssport Fahrerflucht“ und noch weit schlimmeren Delikten, die jetzt scheinbar Disziplinen des Volkssports sind.
Sprachliche Trittbrettfahrer nutzen den guten Ruf dieses Wortes schamlos aus. Laut Duden bedeutet es „eine sportliche Betätigung, die von sehr vielen Menschen in ihrer Freizeit betrieben wird“.
Mag sein, dass sozialschädliches Verhalten wie Steuerhinterziehung mittlerweile von sehr vielen Menschen betrieben wird, sportlich ist es deswegen aber nicht.
Stattdessen ist es an der Zeit, an die positiven Eigenschaften des Volkssportes zu erinnern. Und welcher Sport, wenn nicht das Wandern, eignet sich besser, um sehr viele Menschen sprichwörtlich zu bewegen?
Keine Sportart mobilisiert auf so unkomplizierte Weise die Massen. In diesem Fall ist es angebracht, sich beim Volkssport zu bedienen und einen gerechtfertigten Zusammenhang mit dem Wandersport herzustellen. Das kommt in einer positiven Wortschöpfung zum Ausdruck: dem Volkswandern.
Ein alter neuer Trendsport
Es ist noch nicht lange her, da galt diese Sportdisziplin als verstaubt und wurde als Großelternsport belächelt. Wir haben noch Bilder von Heinz Erhardt im Kopf, der in einem Heimatfilm als letzter Fußgänger singend durch den Schwarzwald tänzelt. Das ist Geschichte.
Mittlerweile wurde diese Ära durch moderne Trendsportarten verdrängt. Aber Begriffe wie Trekking, Hiking, Outdoor, Trail oder auch Pilgern haben letztendlich eine Gemeinsamkeit: Es geht dabei immer ums Wandern.
Seit Beginn des neuen Jahrtausends erfährt diese Sportart einen deutlichen Aufschwung. Mittlerweile zieht es rund 70% der Deutschen mehr oder weniger regelmäßig hinaus ins Freie, um längere Strecken zu Fuß zu bewältigen.
Die Ursache dieser erfreulichen Entwicklung findet sich in einem neuen Gesundheitsbewusstsein. Die Menschen haben das Bedürfnis, dem Druck von Beruf und Alltag zu entfliehen. Geboostert wurde dieser Trend durch die Erfahrungen der Pandemie; plötzlich galt es als schick, bei sogenannten Mikro-Abenteuern die Heimatregion wandernd zu erkunden.
Auch die Sportindustrie erkannte diese Entwicklung. Marketingexperten sind seither bemüht, die Wanderszene mit neudeutschen Wortschöpfungen aufzupeppen, um die Community mit neuen Outfits und angeblich unentbehrlichen High-Tech-Produkten zu beglücken. Das sollte uns nicht weiter beeindrucken.
Was diesen Sport zum Volkssport macht, ist gerade seine Unkompliziertheit. Mit geringem finanziellem Aufwand können wir es jederzeit und fast überall praktizieren, ob allein oder in der Gemeinschaft.
Ein Sport mit Vergangenheit
Die Ursprünge liegen im Mittelalter. Damals sprach noch niemand von Sport, es ging ums Pilgern.
Ab dem 14. Jahrhundert machten sich dann zünftige Handwerksgesellen zu Fuß auf die Walz. Sinn und Zweck war zu dieser Zeit ausschließlich die Fortbewegung.
Zum Vergnügen wurde das Wandern erst mit Beginn der Aufklärung und der Epoche der Romantik. Dichter und Maler beschrieben in ihren Werken plötzlich Sehnsuchtsorte und veränderten so das Naturverständnis des aufstrebenden Bürgertums.
Kulturhistorisch hat sich das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in dieser Epoche grundlegend geändert. Berge und Wald wurden nicht mehr als bedrohlich angesehen. Man erkannte die Schönheit der Landschaft und wollte der Natur nahe sein.
Erst im späten 19. Jahrhundert entwickelte sich das Volkswandern. Die breite Masse der Bevölkerung profitierte von sozialen Errungenschaften wie bezahltem Urlaub sowie dem Ausbau der Verkehrswege. Das war auch die Geburtsstunde des Breitensports.
Sozio-kulturelle Aspekte des Volkswanderns
In Gemeinschaft und im Austausch mit Gleichgesinnten macht dieser Sport besonders viel Spaß. Viele Organisationen und Vereine bieten Wanderbegeisterten Hilfe und Unterstützung an.
„Nos jungat ambulare“ – „möge uns das Wandern vereinen“, hat sich die International Marching League – kurz IML – auf ihre Fahnen geschrieben.
Ziel der Non-Profit-Organisation ist nicht nur, diesen gesundheitsfördernden Sport zu bewerben, sondern auch internationale Freundschaften zu pflegen und so zur Völkerverständigung beizutragen.
Das wird erreicht, indem Sportbegeisterte fremde Länder, deren Landschaften und Kulturen zu Fuß erkunden. Für diese Zwecke bietet die IML mehrtägige Touren an. Aktuell gibt es 28 organisierte Veranstaltungen dieser Art in 26 Ländern. Bei diesen Veranstaltungen stehen Wandersport und Kultur gleichermaßen im Fokus.
Kaum jemand kennt den IVV; bekannt hingegen ist der internationale Wandertag, der jährlich am 8. Mai stattfindet. Organisiert wird diese Veranstaltung vom internationalen Volkssport Verband, kurz IVV. Diese Organisation konzentriert sich nicht nur auf den Wandersport, sondern auf den Breitensport allgemein. So werden auch Schwimmen, Skiwandern und Radfahren gefördert. Aber es ist und bleibt vor allem das Volkswandern, das besonders viele Menschen begeistert.
Zusätzliche Motivation schafft die Möglichkeit, ein internationales Volkssportabzeichen über den Verband zu erwerben. Hier gibt es zahlreiche Kategorien und Leistungsstufen, die den Fortschritt der Sporttreibenden dokumentieren.
Auf nationaler Ebene übernimmt in Deutschland der Deutsche Volkssportverband e.V., kurz DVV, die Förderung des Breitensports. Gerade das Volkswandern ist auch hierzulande sehr beliebt. Der DVV betont, dass die geförderten Aktivitäten keinen Wettkampfcharakter besitzen. Im Vordergrund steht immer das Gemeinschaftserlebnis.
Das stärkste Argument: die Gesundheit
Das Volkswandern zählt zu den gesündesten Sportarten, die wir kennen.
Der Bewegungsablauf ist deutlich schonender als beim Laufen und gerade bei Einsteigern wird das Herz-Kreislauf-System auf sanfte Weise trainiert. Das Risiko einer Überlastung ist deutlich reduziert. Ganz nebenbei wird auch das Immunsystem gestärkt.
Gegenüber Indoor-Sportarten besitzt diese Sportart einen unschlagbaren Vorteil: Bewegung in Kombination mit Tageslicht und frischer Luft stimuliert den Stoffwechsel und regt die Hormonproduktion an.
Das Risiko von Stoffwechselerkrankungen wird deutlich reduziert: Volkswandern vermeidet Volkskrankheiten.
Fazit: Es gibt keine Ausreden mehr
Wandern kommt von wandeln. Dieses Verb drückt mehr aus als eine beliebte Sportart. Es bedeutet Genuss an der Natur und der Landschaft, durch die wir uns bewegen. Körper und Geist schalten ab vom Alltagsstress. In der Natur verändert sich unsere Wahrnehmung und wir entspannen. Körper und Geist bedanken sich mit robuster Gesundheit.
Wer die Gemeinschaft von Gleichgesinnten sucht und seine Leistungssteigerungen durch offizielle Volkssportabzeichen attestieren lassen möchte, findet Unterstützung bei den Volkssportverbänden auf nationaler und internationaler Ebene.
Es gibt keine Ausreden mehr, um nicht schon morgen mit dem Wandern zu beginnen!
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